Nur Gewinner

Schöppingen - Mitten im Spiel reißt Tommy Castro eine Saite. „Weiterspielen“, signalisiert er mit kreisendem Zeigefinger, während er sich mit einem Roadie um seine Gitarre kümmert. Die Band lässt sich nicht lange bitten, bearbeitete Tasten und Trommelfelle. Saxofonist Keith Crossan und Trompeter Tom Poole brillieren mit Soloeinlagen. „Die Jungs sind übrigens die Band des Jahres“, kommentiert Castro lachend und spielt damit auf einen der vier Blues-Music-Awards an, die er in diesem Monat in Memphis abgeräumt hat. Doch abgehoben ist er deswegen kein bisschen. Im Gegenteil: Drei Songs später nimmt er genüsslich ein Bad in der Menge. Die Fans umringen ihn begeistert. Für solche Momente lieben sie das Blues-Festival in Schöppingen.

Würden auch am Vechtebad Music-Awards verliehen, der erste Festival-Tag sähe nur Gewinner: Die Truppe von und mit Tommy Castro würde als beste Band bestätigt. Den Preis „Energie auf zwei Beinen“ hätte zuvor bereits Michelle Mallone abgeräumt. Sie spielt Gitarre und Harp, singt, springt, kickt mit ihrem Stiefel in die Luft und röhrt sich die Lunge aus dem Leib. Bei „Feather­ in a hurricane“ singt die Amerikanerin zwar, sie fühle sich wie eine Feder im Wirbelsturm, tatsächlich ist sie aber selbst der Wirbelwind mit Gitarre. Was für eine Deutschland-Premiere!


Für die größte musikalische Bandbreite des Tages würde Mark Selby ausgezeichnet. Von Blues pur über Country-Blues bis zu RocknRoll reicht seine Palette. Die Band setzt Akzente, bei denen die Klasse der beiden Musiker durchblitzt. Etwa wenn Bassist Charles „Chopper“ Anderson mit Selbys Gitarre in einen Dialog eintritt, Schlagzeuger Daryl Burgess ein Beckensolo spielt oder einen raffinierten Takt auf der Kante seiner Snare.

Filigran ist das Spiel von Drummer Bernie Pershey eher nicht. Dampfhammer würde schon eher passen. Und genau so treten Eric Sardinas und Big Motor am Ende des ersten Festival-Tags auf: Sie machen Dampf. Die Kunstnebelschwaden, die über die Bühne wabern, erinnern daran, dass diese Musik auch das Publikum in einem verrauchten Club trefflich aufmischen würde. Sardinas kann aber auch anders, wie er in Solo-Einlagen beweist: Dann stöpselt er seine halbakustische Gitarre aus, bearbeitet sie mit Fingern und Slide. Dazu singt er mit rau-rauchiger Stimme - seine Zigarette klemmt er derweil hinter die E-Saite. Sardinas Preis hieße: „Stimmungskanone des Abends“. Mit den letzten kreischenden Tönen seiner Gitarre endet gegen Mitternacht der erste, großartige Festival-Tag.

Bleibt noch ein Blick zurück auf Eric Steckel, der neun Stunden zuvor das 19. Blues-Festival in Schöppingen eröffnet hat: Steckel ist gerade mal so alt wie das Festival, spielt aber so virtuos wie ein alter Bluesman. Sein Gesicht strahlt, während er die Fender bearbeitet. Sein geöffneter Mund vermittelt den Eindruck, Steckel würde die Töne, die er seiner Gitarre entlockt, singen. Seine Freude ist offensichtlich und mit seinen zahlreichen Soli spielt er sich regelrecht in einen Rausch, aus dem er wie aus einem Traum wieder auftaucht, sich orientierend nach den anderen Musikern umschauend. Bas Paardekooper und seine Band harmonieren gut mit dem jungen Amerikaner, überlassen dem Blues-Kid aber den Löwenanteil der Show. Steckel erhielte die Auszeichnung für die meisten und schnellsten Gitarren-Soli des Tages.

Ein Festival-Tag, fünf Bands, neuen Stunden voller Musik. - Blues-Herz, was willst du mehr!?

Frank Zimmermann

VON FRANK ZIMMERMANN, GRONAU